Interaktiver Englischunterricht mit Gesang

Lehrer mit Down-Syndrom unterrichtet Englisch

Lisa Klotz

Nachdem eines der ersten Mädchen mit Down-Syndrom im Landkreis Weilheim-Schongau vor wenigen Wochen in eine Regelschule eingeschult worden ist, hat die vierte Klasse der Grundschule Altenstadt nun einen Probeunterricht bei dem freiberuflichen Englischlehrer Tobias Wolf aus Klais bei Garmisch. Auch Wolf hat das Down-Syndrom. Doch dies hat den jungen, 33-jährigen Mann nicht daran gehindert, aus seinem Hobby einen Beruf zu machen.

Beim Probeunterricht in der vierten Klasse sitzen die Schülerinnen und Schüler neugierig und brav auf ihren Stühlen. Wolf steckt sein Mikrofon in die Anlage und stimmt ein englisches Lied an. Nach einer Weile singen die ersten Kinder mit. Im Lied „apples and bananas“ lernen sie durch das Auswechseln der Vokale spielerisch die Aussprache von „a, e, i, o u“ in der englischen Sprache. Nachdem Wolf die Texte ausgeteilt hat, zeigt er auf einen Apfel und Bananen, die er mitgebracht hat. Die Kinder lernen nun Singular und Plural. „Mir hat gefallen, daß Herr Wolf auch die Lehrer aufgerufen hat“, sagt eines der Kinder später. Viele fanden es gut, selbst ins Mikrofon zu sprechen. Faxen bleiben selbst dann aus, als die Kinder in einem anderen Lied neue Verben lernen. „I`m in the mood for stomping“, singen sie gemeinsam mit Wolf, einigen anderen Lehrern und stampfen daraufhin alle mit einem Fuß auf den Boden. Während Wolf die nächsten Texte austeilt, sagen die Kinder schon „Thank you“, so wie sie es gerade gelernt haben.

„Für unsere Kinder ist es sehr interessant, daß ein Mann mit Down-Syndrom auch Lehrer, also nicht nur Empfänger, sein kann“, findet Schuldirektorin Anja Mroß. Jonas und Lisa lächeln am Ende des Unterrichts. Ihnen hat es sehr gut gefallen und sie hätten Lust, wie andere Kinder auch, öfter von Wolf unterrichtet zu werden.

In einer Sitzung vor dem Probeunterricht informieren Tobias Wolf und seine Mutter Elisabeth das Lehrerkollegium der Grundschule und den Bürgermeister von Altenstadt, Albert Hadersbeck, über Konzept und Werdegang.

„Für Tobias war es damals bei der Einschulung wie ein Sechser im Lotto“, sagt die Mutter. Seine Schule in München sei die erste in Bayern gewesen, die vom Kultusministerium aus Integration anbieten durfte. Als die Familie den Vater später in die USA begleitete, nahm Wolf das Angebot wahr, dort eine High School zu besuchen. „In den USA war es damals kein Problem“, so Elisabeth Wolf. Ihr Sohn habe dort auch bereits mit Schulen zusammen gearbeitet. Es sei eben ein anderes Schulsystem. In der öffentlichen High School sei Tobias gefragt worden, was er lernen möchte. „Wie die anderen Schüler sich ihren Plan zusammen stellen, so wurde auch er getragen“, sagt Elisabeth Wolf. Ihr Sohn hat im Jahr 2000 das Diploma in den USA absolviert und durfte gemeinsam mit seinen gesunden Mitschülern den schwarzen Hut in die Höhe werfen.

Nach dem Tod seines Vaters wollte Wolf auch seinen Beitrag im Familienhaushalt leisten und Steuern zahlen, wie alle anderen. Deshalb entschloß er sich dazu, das beruflich zu tun, was ihm leicht fällt und Spaß macht. Über seinen Aufenthalt in den USA spricht er gutes Amerikanisches Englisch. Und so entwickelte er ein Programm, um Kindern in Deutschland die Sprache spielerisch beizubringen. So, wie er sie sich damals selbst auch angeeignet hat. 2006 machte er sich selbständig. Was Wolf geschafft hat, ist bislang in Deutschland noch keine Selbstverständlichkeit.

Bislang begleitet ihn seine Mutter auf die Termine, hilft bei der Vorbereitung der Technik und beim Tragen. Längerfristig ist Wolf jedoch auf der Suche nach einem Assistenten, denn trotz seiner Erfolgsgeschichte benötigt auch er in manchen Dingen Unterstützung. Wolf arbeitet auf Honorarbasis. Schulen, die ihren Englisch-Unterricht interaktiv aufpeppen möchten, können den diplomierten English-Teaching Assistant unter folgender E-Mail buchen: info@tobis-hits.de

Die Lehrer an der Grundschule Altenstadt sind jedenfalls positiv beeindruckt und nach einer Rückfrage der Schulleiterin beim Bürgermeister überlegt Hadersbeck, Wolf in ein spezielles Projekt an der Schule einzubinden. Allerdings müsse das noch geprüft werden. Elisabeth Wolf ist es „von Anfang an wichtig, den Tobias als Tobias zu sehen und nicht als Down-Syndrom“.

Inklusion – Einschulung, die hoffentlich Schule macht

Einschulung, die Schule macht

Laut Inklusionsgesetz dürfen nun auch geistig und körperlich behinderte Kinder die Regelschule besuchen.

Lisa Klotz

„Seit zwei, drei Jahren ist Ludwig (5) der große Motor von Julia (7)“, sagt Mutter Karin Riedl. Denn alles, was der kleinere Bruder schon kann, will seine ältere Schwester auch bald beherrschen. Das wäre ja gelacht. Schließlich ist sie zwei Jahre älter als er. Julia geht zwar noch nicht in die Schule, kann aber schon ihren eigenen Namen lesen. Julia hat das Down-Syndrom. Es ist das Jahr 2012 und Julia ist das erste Mädchen im weiten Umkreis, das Dank des Inklusionsgesetzes ihr Recht auf eine normale Schulbildung erwirken kann.


„Wenn Sie als Familie wollen, daß Julia hier in die Schule kommt, dann machen wir das“, habe die Leiterin der Grundschule in Altenstadt, Anja Mroß, der Familie bereits im ersten Gespräch zugesichert. Inklusion – ein Gesetz, das in den Anfängen steckt. Mehr oder weniger willkürlich gelegte Hürden bei Behörden und bisweilen Ratlosigkeit zum Thema, wie lernschwache oder Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung in den normalen Schulalltag eingebunden werden können. Nach Angaben der Lehrerin und ersten Vorsitzenden des Vereins für Menschen mit Trisomie 21 – „Einfach mehr“, Sigune Echter, ist die Offenheit, die Kompetenz der Schulleiterin Mroß und ihre langjährige Erfahrung mit integrativem Unterricht in Polling, eine große Hilfe. „Die Schule war so offen“, erinnert sich Julias Mutter, „das war wirklich schön“. Die Schulleiterin weiß an dieser Stelle das gesamte Kollegium, vom Hausmeister, über die Lehrer bis hin zur Sekretärin, hinter sich. So etwas im Alleingang anzuordnen ist nicht ihre Sache. „Wir sind auch jederzeit offen, unsere Erfahrungen weiterzugeben“, spricht Mroß für die gesamte, engagierte Schule.

Vor zehn Jahren hatten zwei Familien in Polling ihren behinderten Kindern – damals ohne gesetzliche Grundlage – den Gang in die Regelschule erkämpft. Sie reichten eine Petition in den Landtag ein. Mroß` Augen leuchten, wenn sie erzählt, daß diese Kinder die Klassen eins bis neun durchlaufen haben und nun der Berufsschulunterricht in Rottenbuch für sie ansteht. Durch die vielen Praktika, die sie während der Hauptschule gemacht haben, besitzen die Kinder genügend Kontakte zu Ansprechpartnern. Ihre ehemalige Lehrerin sieht eine Chance, daß sie darüber ihren Weg in den ersten Arbeitsmarkt finden werden.

Bislang sei Mroß während ihrer zehnjährigen Erfahrung mit Integrationsklassen durchweg Offenheit begegnet, versichert sie. Alle Eltern hätten über ihre Kinder mitbekommen, wie viel diesen der Unterricht in einer integrativen Klasse gebracht habe. Dies hätte auch die Eltern überzeugt. „Kinder haben nicht die Barriere im Kopf“, sagt Mroß. Es bestünden auch noch immer Freundschaften zwischen Kindern, die mittlerweile auf andere Schulen übergewechselt sind und Kindern, die damals den Weg über die Petition gehen mußten. „Wir sind nicht nur wegen der gesetzlichen Grundlage dazu verpflichtet, sondern aufgrund unserer Moral“, findet Mroß.

Doch nicht nur die Moral gibt der Position für Inklusion Argumente in die Hand. In Polling gab es zwei Klassen. Eine mit integrativen Kindern und eine ohne. Mroß und ihren Kollegen war es so über einen langen Zeitraum möglich, die beiden Gruppen in ihren schulischen Leistungen zu vergleichen. Am Ende steht ja die Schulnote. Und die muß passen, für den Übertritt. „Die Übertrittszahlen“, resümiert die Schulleiterin, „waren bei beiden Klassen gleich, wenn nicht sogar besser bei der Klasse mit behinderten Kindern“.

Inklusion bedeutet die Teilhabe von allen Kindern am Unterricht. Geistig oder körperlich behinderte Kinder können hier laut dem Inklusionsgesetz genauso auf Unterstützung hoffen, wie lernschwache. Am Ende gilt das Zeugnis aber noch genauso wie die Zeugnisse in früheren Jahren. Besorgten Eltern sei zur Beruhigung gesagt, daß bei geistig behinderten Kindern zusätzlich im Zeugnis vermerkt werden wird, daß ihre Leistungen aufgrund der momentanen Fähigkeiten erbracht wurden. Inklusionsunterricht und der Abschluß gemeinsam mit inkludierten Kindern entwertet also niemals das Zeugnis eines gesunden Kindes. Zudem verfügen inkludierte Kinder über ein sonderpädagogisches Gutachten.

Das Inklusionsgesetz ist eine notwendige Einrichtung, die aufgrund eines Urteils vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschlossen wurde. Interessant ist an dieser Stelle, daß die Schule zwar wieder noch mehr leisten soll, hierfür aber bislang keine zusätzlichen Gelder oder Stellen bewilligt worden sind. „Uns wäre schon viel geholfen, wenn wir mehr Lehrerstunden erhalten würden“, äußert Mroß zaghaft ihren Wunsch. „Wenn es die Regel wäre, daß zwei Lehrer in Inklusions-Klassen wären“, das wäre tatsächlich vonnöten. Bleibt zu hoffen, daß die Regierung an dieser Stelle rasch aktiv wird.

Da das Gesetz noch ganz am Anfang steht, kommt es gerade auf die Initiative der Schuldirektoren, Lehrerinnen und Lehrer sowie der Mitschüler an. Es werde noch viel experimentiert, meint Sigune Echter. „Es liegt viel am Engagement der Eltern und Lehrer.“ Diese hätten manchmal den Eindruck, daß sie „noch etwas drauf“ bekämen, weiß Echter aus ihrer eigenen Erfahrung als Grundschullehrerin. Die Stundenzuweisungen seien sehr knapp und die Klassen sehr voll. Das Gesetz sage zwar, es solle Schulbegleitung geben, diese sei aber oft nicht richtig geschult und werde nicht angemessen entlohnt. „Hier ist noch großer Nachholbedarf“, so die Lehrerin. Echter ist der Meinung, Inklusion könne nur gelingen, wenn wir es jetzt wagten. „Wir müssen miteinander wachsen.“

Beim Bezirk kann die Kostenübernahme für die Schulbegleitung eines behinderten Kindes, auch Integrationshelfer genannt, beantragt werden. Diese begleitet das Kind in die Schule und soll, laut dem Bezirk Oberbayern, „Defizite im pflegerischen, sozialen, emotionalen und kommunikativen Bereich, die den Eingliederungshilfebedarf begründen“, ausgleichen. Im Klartext heißt das bei Julia, daß ihre Schulbegleitung zum Beispiel darauf achten wird, daß sie immer die passenden Hefte und Lehrbücher für das jeweilige Fach auf dem Tisch liegen hat und Hilfe beim Umziehen für den Sportunterricht bekommt.

Die Organisation der Schulbegleitung hat Familie Riedl selbst unternommen. Es wurden Schilder beim Therapeuten, im Fitness-Studio und im Kindergarten aufgehängt. Schließlich wurden die Riedls über die Empfehlung eines Bekannten fündig. Über eine spezielle Ausbildung muß eine Schulbegleitung nicht verfügen, aber pädagogische Erfahrung sei von Vorteil, etwa wenn man selbst Kinder habe, so Riedl. Einen Tag vor Beginn der Schule gibt es noch eine Fortbildung für die Schulbegleiter. „Sabine Wimmer geht es nicht ums Geld, sie will einfach, daß es Julia gut geht“, freut sich der Vater.

Für Wimmer ist die Tätigkeit der Integrationshelferin Neuland. Sie hat noch keine Erfahrung als Schulbegleiterin, möchte aber unbedingt helfen. „Ich finde es wichtig, daß man nicht nur darüber redet, daß Inklusion stattfindet“, wünscht sich Wimmer, „sondern auch handelt.“ Die Riedls beteuern unter einstimmigem Kopfnicken, daß sie über Wimmers Unterstützung sehr froh sind.

Leider wurde Familie Riedl nicht immer unterstützt, wenn es um die Einschulung ihrer Tochter ging. Daß diese Art und die Dauer der Antragsbearbeitung zum Regelfall wird, kann man jedoch nicht hoffen. So war der Sachbearbeiter über einen längeren Zeitraum ständig nicht erreichbar. „Der Antrag ging sehr, sehr zäh durch“, ruft sich Julias Mutter in Erinnerung. Neben der Nicht-Erreichbarkeit des Sachbearbeiters erhielten die Riedls zudem keinerlei Rückmeldung. „Auf einmal war der Antrag nicht mehr zu finden“, fasst Rainer Riedl den Ärger zusammen. Sie mußten erst über die Vorgesetzte gehen, um endlich voranzukommen. Erst kurz vor Schulbeginn hatten die Riedls den Brief mit der Bewilligung erhalten. Den Vorreiter zu machen sei immer ein bisschen schwierig, merkt Julias Vater an.

Auf Nachfrage beim Bezirk Oberbayern, wie lange denn so ein Vorgang üblicherweise dauere, will sich die Pressesprecherin Susanne Büllesbach nicht recht festlegen. Um aber einen Antrag zu stellen, sollte die Familie bereits über eine Person, die die Schulbegleitung vornimmt, verfügen. Inklusion ja oder nein. Darüber werde jeweils im Einzelfall entschieden. Wie viele Förderstunden Julia zusätzlich erhalten wird, ist noch offen. Das sei so wie mit allem, sagt Julias Mutter. „In der letzten Woche entscheidet sich alles.“

Der direkte Arbeitgeber von Julias Schulbegleitung ist die Sozialstation Peißenberg. Bezahlt wird sie über den Bezirk Oberbayern und ihre Arbeit geschieht zusammen mit dem zu betreuenden Kind, den Lehrern und Mitschülern sowie den Eltern. Wer für sein behindertes oder lernschwaches Kind eine Unterstützung für die Schule beantragen möchte, könne dies bei der Sozialstation tun. Die insgesamt 310 Mitarbeiter freuen sich selbstverständlich auch über Bewerbungen von Menschen, die gerne als Schulbegleiter arbeiten möchten.

Wenn Kinder anderen Kindern Schulstoff erklären, festigt sich ihr eigenes Wissen erwiesenermaßen. Außerdem haben Kinder eine andere Sprache und können manche komplizierten Vorgänge kindgerechter erklären. „Babies können ganz viel aus der Mimik der Eltern lesen und das verliert sich im Laufe der Zeit aber Kindern mit Down-Syndrom sagt man nach, die verlieren das nicht“, weiß Julias Mutter auch aus eigener Beobachtung. „Ich bin mir sicher, daß Julia eine ganz große Bereicherung für uns alle wird“, meint Sabine Wimmer. Sie freut sich sehr darauf, dem Kind unterstützend zur Seite zu stehen. Vor eineinhalb Jahren hätten Freunde der Familie ein Baby mit Down-Syndrom bekommen. Dies sei ihr erster Kontakt mit der Behinderung und Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ein Bekannter habe ihr dann davon erzählt, daß ein Down-Kind auf der Suche nach einer Schulbegleiterin sei. So sei Julia genau zum richtigen Zeitpunkt in ihr Leben getreten. Erfahrung mit Kindern hat Julias Unterstützerin auf jeden Fall durch ihre eigene Tochter und verschiedene ehrenamtliche Tätigkeiten mit Kindern.

Der paritätische Wohlfahrtsverband hat am 23. August 2012 bekannt gegeben, daß Kinder mit besonderen Bedürfnissen und behinderte Erwachsene im Bildungssystem, trotz der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Förderung inklusiver Bildung, zu kurz kommen würden. In einem unabhängigen Forschungsbericht für die EU-Kommission ist zu lesen, daß Deutschland, im europäischen Vergleich, an zweiter Stelle steht, was die Ausgrenzung von behinderten Kindern in extra Bildungseinrichtungen betrifft.

(siehe: http://www.nesse.fr/nesse/activities/reports/activities/reports/disability-special-needs-1)

Jan Truszczynski, Direktor für Bildung und Kultur der Europäischen Kommission, legt nahe, daß einige Millionen EU-Bürger unter institutioneller Unterdrückung leiden müssten. Behinderte gehörten ihm zufolge zur größten benachteiligten Gruppe in Europa. Dabei kann jeden Menschen, etwa durch einen Unfall oder einen Schlaganfall, eine Behinderung treffen. Ausgrenzung macht allein schon deshalb keinen Sinn. Auf der Homepage Inklusion-Bayern.de sind Informationen an Lehrer, Betroffene und Interessierte, rund um das Thema Inklusion zu finden.

Sabine Wimmer bewundert Familie Riedl für ihren Mut. „Was wir wieder lernen müssen ist die Wahrnehmung. Nicht immer: Oh, die Armen!“ Es gehe darum, Kontakte zu behinderten Menschen zu knüpfen. „Woher wollen wir denn wissen, daß die arm sind“, fragt Wimmer zu Recht.

Wenn Julia etwas nicht versteht, wird ihr ihre Schwester Ramona, die ja schon weiter in der Schule ist, das erklären. „Das können Sie als Eltern oft gar nicht so vermitteln, wie die Kinder untereinander“, bemerkt Julias Vater. Laut ihren Eltern und Sabine Wimmer hat Julia eine besondere Fähigkeit, Stimmungen und Emotionen von anderen zu erkennen und darauf einzugehen. Darüber können sich wiederum ihre Mitschüler soziale Fähigkeiten aneignen, während sie Julia ihrerseits dabei helfen können, Zahlen zu verstehen.

Während der kleine Ludwig akrobatische Kunststücke auf dem Trampolin macht, umarmt Ramona ihre kleine Schwester, die gerade den Schulranzen geholt hat. Stolz hält sie ihn hoch und lächelt. Die EU-Menschenrechtskonvention hat Deutschland per Gesetz dazu bewegt, behinderten Menschen endlich ein Recht auf Bildung zu gewähren. In Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention ist zu lesen, daß die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen gewährleisten. Vielleicht hat es diesen Ansporn gebraucht, damit wir uns alle einander annähern, Kontakte zueinander knüpfen und mehr im Gegenüber sehen, als einen Menschen, der etwas nicht kann, sondern ein Individuum, das andere, ebenfalls wichtige Begabungen hat.

Der Neandertaler in uns

Befinden wir uns gerade in einem evolutionären Prozess, der unser Gehirn verändert?

Lisa Klotz

Der Wissenschaftler und Aufsichtsratvorsitzender des US-Unternehmens „Biotechonomy“, Juan Enriquez, ist Gründer des „Life Science Projektes“ an der Harvard Business School und untersucht die Schnittflächen von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.

In seinem jüngsten Vortrag – „Werden unserer Kinder einer anderen Spezies angehören?“ – wirft Enriquez neues Licht auf die Entwicklung der verschiedenen Hominiden und ihre genetischen Nuancen.

„Der Unterschied zwischen Menschen und Neandertalern beträgt 0.04 Prozent des genetischen Codes“, so der Forscher. In seinen Augen mache es mehr Sinn, der Theorie von Darwins Cousin Glauben zu schenken, der leider auch die Grundlagen für die Erblehre im zweiten Weltkrieg gelegt hat. Wir entstammten damit nicht alle einer, sondern verschiedenen, in der Erdgeschichte vorgekommenen Menschenarten, die sich vermutlich durchmischt haben. Durch ständige Mutation, wie etwa einer, die blaue Augen hervorgebracht habe, würden die menschlichen Arten ständig neu angepasst. Es könnte demnach sein, dass Teile des Neandertaler-Erbgutes sich auch in heutigen Menschen wiederfinden.

Als Beweis für seine Theorie führt Enriquez einen speziellen Genotypen an, den jeder getestete männliche olympische Athlet besitzt. Eine Kopie des 577R.

Ein in China unternommener Versuch hat aus den Hautzellen einer Maus und der Zugabe von vier Chemikalien Stammzellen einer Maus geschaffen, aus welcher dann ein Klon gefertigt wurde. In der Veröffentlichung der chinesischen Wissenschaftler auf „oxfordjournals.org“ ist die Rede davon, dass drei Arten von Mäuse-Reprogrammierzellen erzeugt wurden. Die vier hinzugefügten Chemikalien ermöglichen, nach Enriquez, den pluripotenten Stammzellen erstmals eine Entwicklung in verschiedene Richtungen. Manche würden sich zu Knochen entwickeln, manche zu Organen.

Man mag sich zeitweise an Mary Shelleys 1818 erschienenen Roman „Frankenstein“ erinnert fühlen, wenn es mittlerweile gelungen ist, aus einer beliebigen Zelle jedes beliebige Organ oder gar einen gesamten Körper zu erschaffen. Was ungeahnte Möglichkeiten birgt, wie etwa die Heranzüchtung von eigenen Spenderorganen, hält auch schwerwiegende Konsequenzen für die Gesellschaft und jeden Einzelnen bereit.

Beispielweise sei es, so Enriquez, nun auch möglich, über injizierte Retroviren, die exakten Vorgänge im Gehirn einer Maus nachzuvollziehen. Die Viren werden erst markiert und anschließend injiziert. Durch den nun sichtbaren Weg, den sie zum Beispiel während des Essens, im Gehirn hinter sich legen, können Wahrnehmungs- und Denkvorgänge direkt beobachtet werden. Die Sichtbarmachung erfolgt in zwei Farben, die wiederum auf dem Computer dargestellt werden können. Ed Boyden, Leiter der „Synthetischen Neurobiologie-Gruppe“ am MIT, hat bereits im Jahr 2008 an diesen Technologien gearbeitet. Dabei wurden neue Prinzipien verwendet, um Gehirnaktivität auch zu kontrollieren. In Zukunft ließen sich, Enriquez zufolge, die Erinnerungen über die Injektion von Retroviren herunter laden.

„Wir nehmen heute an jedem Tag so viel Informationen in unserem Gehirn auf, wie früher im ganzen Leben“, meint Enriquez. Diese Informationsflut, der wir täglich ausgesetzt sind, sei auch der Grund für eine rasante Evolution des menschlichen Gehirns in Echtzeit. Die Häufigkeit von Autismus habe sich in weniger als einem Jahrzehnt um 78 Prozent erhöht. Das Gehirn reagiere hyperaktiv und hyperplastisch auf die zunehmende Anzahl von Einflüssen und schaffe so immer mehr Individuen mit außergewöhnlicher Wahrnehmung, Gedächtnis und Aufmerksamkeit.

Gleichzeitig agiert der Mensch mittlerweile als Schöpfer von genetisch veränderten Kreaturen. Diese beiden Wege – die Reaktion des Gehirns auf multiple Einflüsse und die Erschaffung von neuen Arten, legen es nahe, dass wir uns gerade in einem evolutionären Prozess befinden, der unser Gehirn verändert. Es stellt sich die Frage, wie eine Gesellschaft, die nicht nur Teil dieser Evolution, sondern auch aktive Gestalterin ist, damit umgehen wird und ob neue Regeln für mögliche Prozesse erarbeitet werden, um auch in Zukunft aktiv das Heft in der Hand zu halten.